Der Landkreis Sigmaringen im geschichtlichen Überblick
von Edwin Ernst WeberDas Gebiet des in dieser Gestalt seit 1973 bestehenden Landkreises Sigmaringen ist eine alte Kulturlandschaft, in der sich die frühesten Spuren menschlicher Besiedlung namentlich in Höhlen des Donau- sowie des Laucherttals bis in die Alt- und Mittelsteinzeit zurückverfolgen lassen. Unter den zahlreichen Fundstellen der Bronze- sowie der keltischen Eisenzeit ragt die Heuneburg bei Hundersingen heraus, deren Blütezeit als älteste stadtähnliche Siedlung nördlich der Alpen und weit ausstrahlendes Machtzentrum zwischen 600 und 400 v. Chr. anzusetzen ist. Bei der Eingliederung Oberschwabens in das römische Weltreich kommt nach neueren Befunden offenbar dem bei Ennetach in strategisch günstiger Lage errichteten Kastell im 1. Jahrhundert eine Schlüsselstellung zu. An den Rückzug der Römer aus Südwestdeutschland in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts schließt sich eine mehr als zwei Jahrhunderte währende „dunkle Phase“ ohne nennenswerte archäologische und schriftliche Zeugnisse an, ehe dann vom frühen 6. bis zum Beginn des 8. Jahrhunderts Reihengräberfelder mit teilweise reichen Grabbeigaben, darunter auch der bekannte Gammertinger Spangenhelm, Aufschlüsse über die mittlerweile erfolgte alemannische Besiedlung vor allem in den Tallagen von Donau und Lauchert vermitteln.
Abb. 1 Luftbild des Burgbergs der Heuneburg mit den rekonstruierten Bauten des Freilichtmuseums, im Vordergrund die Donau, oben in der Mitte der Talhof (Vorlage: Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg)
Abb. 2 Spangenhelm des sog. Fürstengrabes um 570 eines alemannischen Reihengräberfeldes in Gammertingen (Vorlage: Landesmuseum Württemberg)
Nach der Eingliederung Alemanniens in das fränkische Reich datieren aus dem 8. und 9. Jahrhundert die ältesten urkundlichen Quellen zu einzelnen Orten des Kreisgebiets, so etwa die bekannte Schenkungsurkunde des Grafen Berthold an das Benediktinerkloster St. Gallen mit der Nennung von Engelswies, Vilsingen und möglicherweise Kreenheinstetten aus dem Jahr 793. Während die herrschaftliche Gliederung der Landschaft an der oberen Donau in merowingischer und karolingischer Zeit in sog. Baaren, Huntaren und Grafschaften aufgrund der dürftigen Quellenüberlieferung nur in Ansätzen und mit vielen Fragezeichen aufzuhellen ist, begegnet im Hochmittelalter ab dem 11. und 12. Jahrhundert bereits die für Oberschwaben bis ins 19. Jahrhundert so typische herrschaftliche und territoriale Gemengelage: Aus den Allodialherrschaften des edelfreien Adels wie den Grafen und sodann den Truchsessen von Rohrdorf im Meßkircher Raum, den Grafen von Gammertingen und später den Grafen von Veringen im mittleren Laucherttal, den Grafen von Altshausen im Saulgauer Bereich, den Grafen von Pfullendorf-Ramsberg im Linzgau oder den vielfach wechselnden Inhabern von Burg und Herrschaft Sigmaringen entwickelt sich in den folgenden Jahrhunderten der bekannte bunte „Flickenteppich“ von benachbarten und ineinander greifenden Herrschaften adliger, geistlicher und auch reichsstädtischer Provenienz.
Österreich als beherrschender Machtfaktor
Zum bis in das 19. Jahrhundert beherrschenden Machtfaktor wird das Erzhaus Österreich, das im Zuge des Ausgreifens in das Innere Schwabens unter den ersten beiden habsburgischen Königen Rudolf I. und Albrecht I. seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert auch umfangreiche Besitzungen an der oberen Donau, darunter die sog. Donaustädte Saulgau und Mengen, die Städte und Grafschaften Sigmaringen und Veringen, die Grafschaft Friedberg-Scheer und die Herrschaft Gutenstein, erwirbt. Weitere Gebiete wie die Herrschaften Werenwag und Hausen-Stetten oder die Klostergebiete von Wald, Beuron und Heiligkreuztal kommen in der Folge unter österreichische Landeshoheit. Allerdings gelangt der allergrößte Teil der österreichischen Besitzungen durch Verpfändungen bereits seit dem 14. Jahrhundert wieder in andere Hände, so etwa die Grafschaft Friedberg-Scheer sowie die Donaustädte an die Truchsessen von Waldburg, die Grafschaften Sigmaringen und Veringen an Württemberg und sodann an die Grafen von Werdenberg und die Herrschaft Gutenstein an die Herren von Zimmern. Durch sein politisches Gewicht sowie die proösterreichischen Sympathien der Untertanen gelingt es dem Erzhaus seit dem 16. Jahrhundert, die verpfändeten bzw. verliehenen Herrschaften seiner Landeshoheit zu unterwerfen und in die schwäbisch-österreichische Steuer- und Militärorganisation einzugliedern. Die Donaustädte gelangen 1680 durch die von den Untertanen selbst finanzierte Pfandschaftsauslösung sogar wieder unter direktes habsburgisches Regiment.Abb. 3 Ofenplatte des Sigmaringer Stadtschultheißen Johann Michael Dannecker von 1722 mit dem österreichischen Wappen (Vorlage: Kreisarchiv Sigmaringen)
Drei Hochadelshäuser
Mit dem Aussterben der Grafenhäuser Werdenberg und Zimmern im Mannesstamm und dem Vordringen der Hohenzollern an die obere Donau bildet sich im 16. Jahrhundert die Territorialstruktur, die sodann mit wenigen Änderungen bis an den Beginn des 19. Jahrhunderts Bestand behält. In besonderer Weise prägend für die frühneuzeitliche Geschichte des Kreisgebiets sind neben dem Erzhaus Österreich drei Hochadels-Herrschaften: Nach der Belehnung der Hechinger Zollern mit den Grafschaften Sigmaringen und Veringen durch Österreich 1535 entsteht seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert am Herrschaftssitz Sigmaringen eine eigene Linie der Grafen und sodann Fürsten von Hohenzollern, die weit über ihre eigene Ortsherrschaft hinaus Hochgerichts- und Forstrechte in dem durch kaiserliche Belehnung 1460 errichteten Bezirk der Grafschaft Sigmaringen beanspruchen und damit in schier endlose Streitigkeiten mit nahezu allen umliegenden Nachbarherrschaften geraten. Trotz des Erwerbs verschiedener sog. Allodialorte, darunter auch Inzigkofen und Krauchenwies, sowie der Herrschaften Haigerloch und Wehrstein in den heutigen Kreisen Zollernalbkreis und Freudenstadt sind die Sigmaringer Hohenzollern nach langwierigen Konflikten mit ihren eigenen Untertanen sowie der habsburgischen Lehensherrschaft um die Landeshoheit und die Besteuerung der Mediatisierung durch das übermächtige Österreich im 18. Jahrhundert nahezu erlegen.Abb. 4 Gustav Bregenzer: Sigmaringen mit Schloss und Mühlenvorstadt von Norden, Kopie einer Ansicht aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, Öl auf Leinwand, 1905 (Vorlage: Kunstsammlung Landkreis Sigmaringen)
Weitaus glanzvoller präsentieren sich die Grafen und sodann Fürsten von Fürstenberg, die als Nachfolger der Werdenberger und der Zimmern seit dem 16. Jahrhundert an der oberen Donau und im Linzgau ein stattliches Territorienkonglomerat mit den Herrschaften Dietfurt-Jungnau, Trochtelfingen, Meßkirch sowie der Grafschaft Heiligenberg aufbauen und im ererbten Renaissanceschloss Meßkirch seit 1626 eine eigene Linie begründen. Nachdem die Meßkircher Fürstenberger unter Graf Froben Maria und Fürst Froben Ferdinand als Parteigänger des habsburgischen Kaiserhauses in höchste Reichsämter aufgestiegen waren, stirbt 1744 die Linie unerwartet aus und fallen ihre umfangreichen Besitzungen an die Vettern des Stühlinger Fürstenberg-Zweiges in Donaueschingen, das nun anstelle von Meßkirch zum glanzvollen Zentrum des vereinigten Fürstentums Fürstenberg wird.
Abb. 5 Stadt und Schloss Meßkirch 1576, kolorierte Pinselzeichnung (Vorlage: Generallandesarchiv Karlsruhe)
Eine dritte Hochadelsherrschaft entsteht in der österreichischen Grafschaft Friedberg-Scheer, die nach wechselnden Verpfändungen 1452/54 an die Truchsessen von Waldburg gelangt, die in Scheer als Residenz und Verwaltungssitz eine eigene Linie begründen. Ähnlich wie die Sigmaringer Hohenzollern haben auch die Scheerer Waldburger vom 16. bis ins 18. Jahrhundert schier endlose Auseinandersetzungen zum einen mit dem Hause Habsburg um den Pfand- oder Lehenscharakter der Grafschaft und zum anderen mit den mit Macht unter unmittelbare österreichische Herrschaft zurückstrebenden eigenen Untertanen zu bestehen. Während die gleichfalls an Waldburg verpfändeten benachbarten Donaustädte 1680 wieder unter direkte österreichische Herrschaft zurückkehren, verbleibt die Grafschaft Friedberg-Scheer als österreichisches Mannlehen unter dem ungeliebten truchsessischen Regiment. Nach dem Aussterben der Scheerer Linie der Waldburger erfolgt 1786 zu einem horrenden Preis der Verkauf von Friedberg-Scheer an die durch das kaiserliche Postregal reich gewordenen Fürsten von Thurn und Taxis, die in der ihnen von Österreich verliehenen reichsunmittelbaren gefürsteten Grafschaft endlich die erstrebte „fürstenmäßige“ Besitzgrundlage für die Reichsstandschaft erlangen.
Abb. 6 Das 1485 bis 1496 von Graf Andreas von Sonnenberg errichtete spätgotische Schloss Scheer (Vorlage: Kreisarchiv Sigmaringen)
Neben diesen drei Hochadelsherrschaften, deren Residenzschlösser in Sigmaringen, Meßkirch und Scheer bis heute zu den wichtigsten Baudenkmälern im Kreisgebiet zählen, weist das nordwestliche Oberschwaben ursprünglich eine breite Fülle von Niederadelsherrschaften auf, an die bis in die Gegenwart zahlreiche Burgruinen zumal auf den Felsen und Höhen des Donau- und des Laucherttals erinnern. Von der spätmittelalterlichen Agrardepression bis ins 18. Jahrhundert erfährt der Niederadel an der oberen Donau eine fortschreitende Erosion, die schließlich nur noch eine einzige Ritterherrschaft, jene der Freiherren Speth von Zwiefalten in der Herrschaft Gammertingen-Hettingen, das Ende des Alten Reiches 1806 erleben lässt. Alle anderen Ritterherrschaften, zuletzt Hornstein mit dem zugehörigen Kondominatsort Bingen (1789), Bittelschieß (1786), Boll (1693), Hausen-Stetten a.k.M. (1667) und Waldsberg (1656) waren bereits zuvor, vielfach durch Überschuldung ihrer Inhaber, in zumeist fürstliche Hand gekommen.
Kreisgebiet ehedem mit 17 Klöstern
Auch wenn Größe und Bedeutung der insgesamt 17 Klöster im Kreisgebiet baulich, politisch und wirtschaftlich deutlich hinter den reichen und mächtigen Abteien des östlichen Oberschwabens zurückbleiben und keines von ihnen die volle Reichsunmittelbarkeit erlangen konnte, spielen die geistlichen Herrschaften in der Geschichte des Kreisgebiets gleichwohl eine bedeutsame Rolle. Das größte Herrschaftsgebiet mit zeitweise bis zu 18 Untertanenorten bildete das in Österreich landsässige und von der Grafschaft Sigmaringen bevogtete Zisterzienserinnenkloster Wald aus. Unter der Schirmherrschaft gleichfalls von Sigmaringen hatte das Dominikanerinnenkloster Habsthal die Ortsherrschaft im gleichnamigen Klosterort sowie in Rosna und Bernweiler inne, während das Benediktinerinnenkloster Mariaberg sich und seinen Untertanenort Bronnen 1706 von der Vogtei der Herrschaft Gammertingen durch Ablösung befreien konnte. Im Vergleich zu der 1863 gegründeten Benediktiner-Erzabtei mit ihrer zeitweise außerordentlichen geistlichen und kulturellen Strahlkraft herrschten in dem bis 1803 in Beuron bestehenden Augustinerchorherrenstift stets bescheidene Verhältnisse. Dem zunächst von den Herren von Enzberg und sodann von Österreich bevogteten Kloster gelingt erst 1751 durch den Kauf von Bärenthal und des Schlößchens Ensisheim die Erweiterung des Territoriums über den Klosterort hinaus, die heiß erstrebte Reichsunmittelbarkeit ließ sich in den 1780er Jahren indessen selbst mit einer Urkundenfälschung nicht erreichen. Die anderen Klöster im Kreisgebiet, darunter auch das angesehene und als Stätte der Mystik wie später der barocken Musik- und Kunstpflege bedeutende Augustinerchorfrauenstift Inzigkofen, vermochten keine eigenen Ortsherrschaften auszubilden.Abb. 7 Ansicht des Klosters Habsthal um 1830, Aquarell von X. Vollmer (Vorlage: Kloster Habsthal)
Zum anderen konnten verschiedene Klöster von außerhalb Territorialbesitz im Kreisgebiet erwerben. Zu erwähnen sind hier besonders das Zisterzienserkloster Salem mit der Herrschaft Ostrach und der 1756 pfandweise erworbenen Herrschaft Hausen-Stetten, das Benediktinerkloster Petershausen bei Konstanz mit dem Amt Herdwangen und Sauldorf, das Zisterzienserinnenkloster Heiligkreuztal mit Hundersingen und Beuren und schließlich das Damenstift Buchau mit der 1625 unter eigene Verwaltung genommenen Herrschaft Straßberg u.a. mit dem Dorf Frohnstetten. In der bunten Fülle der Duodezherrschaften sind schließlich auch zwei Reichsstädte vertreten: Pfullendorf konnte über sein Spital einen kleinen, unzusammenhängenden Niedergerichtsbezirk mit Illmensee, Waldbeuren, Stadelhofen und Zell a.A. aufbauen, und dem Überlinger Territorium gehörten die Vogtei Ramsberg u.a. mit Großschönach sowie die spitälischen Ämter Denkingen, Sohl und Ebratsweiler an.
Abb. 8 Niedergeschichts- und Ortsherrschaften im heutigen Landkreis Sigmaringen um 1800 (Konzeption: Edwin Ernst Weber, Vorlage: Kreisarchiv Sigmaringen)
Die Untertanen als Subjekte der Geschichte
Nachdem die von Württemberg eingeführte Reformation in der Herrschaft Gammertingen-Hettingen seit 1547 rückgängig gemacht worden war, finden sich im Kreisgebiet bis zum Ende des Alten Reiches ohne Ausnahme nur noch katholische Territorien. Kaum minder bemerkenswert ist eine ausgeprägte, jahrhundertelange Tradition der politischen Mitsprache und des Widerstandes der bäuerlichen wie auch der städtischen Untertanen an der oberen Donau. Den Höhepunkt der freiheitlichen Bestrebungen bildet auch im nördlichen Oberschwaben der Bauernkrieg von 1525, der über alle Territorialgrenzen hinweg neben der Landbevölkerung auch verschiedene Städte, namentlich Meßkirch und Saulgau, erfasst und in den im Memminger Bauernparlament und den „Zwölf Artikeln“ gipfelnden Versuch einer Einigung Oberschwabens von „unten“, ohne Adel und Herren einbezieht. Nach dem – in Oberschwaben nicht gewaltsam, sondern durch Vergleichsvertrag herbeigeführten – Ende des Bauernkriegs werden auch an der oberen Donau die allenthalben anzutreffenden Untertanenkonflikte vorrangig auf prozessualem Weg vor den Gerichten des Reiches bzw. Österreichs ausgetragen. Trotz aller absolutistischen Tendenzen können die bäuerlichen wie auch städtischen Gemeinden Hohenzollerns und Oberschwabens bis zum Ende des Alten Reiches einen Kernbestand an kommunaler Autonomie bewahren und über Prozesse, Vergleichsverträge und die verbreitet anzutreffenden „Landschaften“ die örtlichen Herrschafts- und Lebensverhältnisse überaus selbstbewusst und streitbar mitgestalten.Abb. 9 Wandgemälde zum Bauernkrieg von 1525 auf der Vorderfront des barocken Herdwanger Rathauses, angefertigt 1965 vom Mannheimer Kunstmaler Carolus Focke (Vorlage: Kreisarchiv Sigmaringen)
Durch den Machtwillen des siegreichen revolutionären Frankreich und seines Kaisers Napoleon löst sich diese ebenso bunte wie unübersichtliche Duodez-Welt zu Beginn des 19. Jahrhunderts in zwei Etappen rasant auf. Nach einer ersten Aufhebungswelle in den österreichischen Gebieten bereits in den 1780er Jahren werden alle noch verbliebenen Klöster 1803 säkularisiert und ihr umfangreiches Vermögen an Gebäuden, Land, Herrschaftsrechten, Kunst und Kultur an verschiedene Hochadelshäuser verteilt. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entsteht an verschiedenen dieser alten Stätten, namentlich in Beuron, Sigmaringen-Gorheim, Sießen, Habsthal und Saulgau, wieder neues klösterliches Leben.
Abb. 10 Die Beuroner Klosterstadt mit barockem Kern und Erweiterungen des 19. und 20. Jahrhunderts aus der Vogelperspektive (Vorlage: Kreisarchiv Sigmaringen)
Der hohenzollerische „Sonderweg“
An die Stelle von zahllosen Adels-, Kloster- und Reichsstadtherrschaften treten 1806 das Königreich Württemberg, das Großherzogtum Baden und die beiden hohenzollerischen Fürstentümer Sigmaringen und Hechingen, die dem im Gefolge der sog. Mediatisierung des Adels eigentlich zu erwartenden Untergang dank exzellenter persönlicher Beziehungen der damaligen Sigmaringer Fürstin Amalie Zephyrine nach Paris entrinnen und 1806 in einen letztlich bis 1972 anhaltenden „Sonderweg“ eintreten. Durch die Revolution von 1848/49, deren freiheitliche Bestrebungen sowohl im badischen wie auch im hohenzollerischen und im württembergischen Kreisteil für gewaltige Erschütterungen bis hin zu einer kurzfristigen Sigmaringer Republik im September 1848 sorgen, gewinnt die Sonderentwicklung Hohenzollerns eine neue Richtung: Durch Verfassungsbruch treten 1849 die von ihren revolutionären Untertanen erschreckten hohenzollerischen Fürsten die Landeshoheit über ihre Ländchen an den mit ihnen stammverwandten König von Preußen ab, der ihnen im Gegenzug eine stattliche jährliche Rente und vor allem das Vermögen der 1803 aufgehobenen Klöster als fürstlichen Privatbesitz garantiert. In der bis 1867 in nie da gewesenem Glanz wieder aufgebauten Burg Hohenzollern gewinnt das hohenzollerische „Kaiserstammland“ seinen Identifikationspunkt und im repräsentativ ausgestalteten Residenzstädtchen Sigmaringen sein Verwaltungszentrum.Abb. 11 Grenztafel des preußischen Regierungsbezirks der Hohenzollernschen Lande (Vorlage: Kreisarchiv Sigmaringen)
Rückständige Grenzlandschaft
Auch wenn die wirtschaftliche und politische Einigung Deutschlands in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts manches mildert, wird das Kreisgebiet durch die 1806 durchaus willkürlich gezogenen Grenzen zu einer Grenzlandschaft mit von der jeweiligen staatlichen Zugehörigkeit geprägten Eigenheiten und Identitäten. Grenzüberschreitende Kooperation wie in dem seit 1898 entstandenen „Dreiländer“-Wasserversorgungsverband für den südlichen Heuberg war dabei lange Zeit eher eine Ausnahmeerscheinung. Gemeinsam war indessen sowohl den Saulgauern und Mengenern in Württemberg wie auch den Pfullendorfern und Meßkirchern in Baden sowie den Sigmaringern und Gammertingern in Preußen eine wirtschaftliche und infrastrukturelle Rückständigkeit und eine bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg anhaltende Dominanz der Landwirtschaft. Der Eisenbahnbau seit den 1870er Jahren beschert dem Kreisgebiet immerhin eine bessere Verkehrsanbindung und lässt Sigmaringen dank preußischer Förderung zum Knotenpunkt mit zeitweise drei Bahnhöfen werden. Das Gewerbe im Kreisgebiet beschränkt sich bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg im Wesentlichen auf Handwerks- und Kleinbetriebe, der einzige Industriestandort findet sich im Sigmaringendorfer Ortsteil Laucherthal, wo sich aus einer 1707 gegründeten fürstlichen Eisenschmelze im 20. Jahrhundert ein metallverarbeitendes Großunternehmen mit zeitweise mehr als 1000 Beschäftigten und einer angrenzenden Arbeitersiedlung entwickelt. Während das Textilgewerbe im Laucherttal und auf der Alb in den letzten Jahrzehnten einen Niedergang erlebt, gelingt seit den 1960er Jahren namentlich in Pfullendorf, Saulgau und Krauchenwies der Aufbau von größeren Industriebetrieben.Abb. 12 Das Hüttenwerk Laucherthal, Stahlstich von 1841 (Vorlage: Kreisarchiv Sigmaringen)
Nachdem Kreisreformen der Zwischenkriegszeit 1925 das Oberamt Gammertingen zum neuen preußisch-hohenzollerischen Landkreis Sigmaringen geschlagen, 1936 die badischen Bezirksämter Meßkirch und Pfullendorf in die neuen Kreise Stockach bzw. Überlingen eingegliedert und zuletzt 1938 die württembergischen Oberämter Riedlingen und Saulgau zum neuen Landkreis Saulgau vereinigt hatten, hebt die Länderneugliederung nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Bildung zunächst von (Süd-)Württemberg-Hohenzollern 1947 und sodann von Baden-Württemberg 1952 auch an der oberen Donau die seit 1806 bestehenden Landesgrenzen auf. Mit der Kreisreform von 1973, die zur Bildung des neuen Landkreises Sigmaringen mit annähernd gleich großen Anteilen von Baden, Hohenzollern und Württemberg führt, verschwinden die napoleonischen Grenzziehungen nach fast 170 Jahren endgültig von der Landkarte und kehrt die Landschaft an der oberen Donau in den zu Beginn des 19. Jahrhunderts unterbrochenen oberschwäbischen Zusammenhang zurück. Dies dokumentiert auch das Kreiswappen, das seit 1978 anstelle des silber-schwarzen Hohenzollern-Gevierts im Wappen des alten hohenzollerischen Kreises Sigmaringen den österreichischen Bindenschild mit dem Sigmaringer „Grafschafts-Hirsch“ verbindet und damit auf die gemeinsame vorderösterreichische Vergangenheit großer Teile des Kreisgebiets vor 1806 verweist.
Abb. 13 Wappen des hohenzollerischen Altkreises und des 1973 gebildeten neuen Landkreises Sigmaringen mit österreichischem Bindenschild (Vorlage: Kreisarchiv Sigmaringen)
Baudenkmale und Persönlichkeiten
Die Spuren dieser wechselvollen Geschichte haben sich im Kreisgebiet vor allem in einem reichen bau- und kunstgeschichtlichen Erbe erhalten. Dank der zahlreichen Kleinherrschaften adliger, geistlicher und reichsstädtischer Provenienz finden sich hier Burgruinen, Schlösser, fürstliche Parks und Klosteranlagen in einer Dichte und Vielfalt, wie sie nur wenige Landschaften in Deutschland vorweisen können. Neben diesen aus allen Kunstepochen, von der Gotik bis in die Zeit des Klassizismus datierenden Bau- und Kunstwerken zeichnet sich der Landkreis Sigmaringen aber vor allem durch einen illustren Kreis von Persönlichkeiten aus, die als Herrscher, Heilige, Prediger, Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte gemacht haben. Die Bandbreite reicht dabei, um nur einige Beispiele aufzuzählen, von Graf Froben Christoph von Zimmern (1519 – 1566), dem Verfasser der Zimmerschen Chronik und Erbauer des Meßkircher Renaissance-Schlosses, über den aus Kreenheinstetten stammenden barocken Kanzelprediger und Volksschriftsteller Abraham a Sancta Clara (1644 – 1709), den Medizinprofessor und kaiserlichen Leibarzt Anton von Störck (1731 – 1803) aus Saulgau und den badischen Freiheitskämpfer Konrad Heilig (1817 - 1849) aus Pfullendorf bis zu dem in Mengen geborenen Maler und Holzschneider Gottfried Graf (1881 – 1938) und dem Meßkircher Philosophen Martin Heidegger (1889 – 1976). Für den weiblichen Anteil an diesen geschichts- und kulturmächtigen Persönlichkeiten seien stellvertretend die Sigmaringer Fürstin Amalie Zepyhrine, der, der hohenzollerische Sonderweg von 1806 bis 1972 maßgeblich zu verdanken ist, und die Sießener Franziskanerin und Künstlerin Berta Hummel (1909 – 1946) genannt.Abb. 14 Abraham a Sancta Clara, Stich Anfang 18. Jahrhundert (Vorlage: Kreisarchiv Sigmaringen)
Abb. 15 Fürstin Amalie Zephyrine von Hohenzollern-Sigmaringen, Gemälde von Auguste François Laby, 1828 (Vorlage: Fürstlich Hohenzollernsche Sammlungen Sigmaringen)