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Unsicherheit und Solidarität – 008


Existenzielle Krisen erschienen den meisten von uns als Gespenster einer gottlob überwundenen Vergangenheit oder aus rückständigen anderen Kontinenten, im gelobten Europa indessen auf Dauer überwunden. Tatkräftige Nachbarschaftshilfe und selbstverständliche Solidarität in einer Gemeinde, wie ich dies in den 1960er Jahren noch erleben durfte, als nach einem schweren Unfall des Bauern meine Familie bei der Einbringung der Ernte von allen Seiten fraglose Unterstützung erhielt, schienen entbehrlich zu sein. Man war ja sozial abgesichert, die Medizin hatte die Krankheitsgeißeln der Vergangenheit gebändigt, mit Geld konnte man das für sich und die eigene Familie Erforderliche ja kaufen. Das Ich ist weithin an die Stelle des Wir getreten.
 
Die aktuelle Corona-Pandemie erzwingt eine Umorientierung. Anstelle eines hemmungslosen Individualismus und mancher Oberflächlichkeiten geht es jetzt um die Rücksichtnahme zumal gegenüber den Schwächeren und besonders Gefährdeten, um Entschleunigung und die Konzentration auf das Wesentliche und Lebenswichtige, um das Zurückstellen eigner Ansprüche gegenüber dem Gemeinwohl, um tatkräftige Hilfe und gelebte Solidarität. Wir machen durchaus unfreiwillig die gemeinsame Erfahrung, dass trotz aller Fortschritte in Wissenschaft und Technik unser Dasein letztlich fragil und gefährdet bleibt und gegenseitige Hilfe und Unterstützung die beste Versicherung gegen die Fährnisse und Widrigkeiten im persönlichen wie gesellschaftlichen Dasein sind. Im besten Fall wird unsere bislang Krisen-unerfahrene Gesellschaft aus dieser Prüfung menschlicher, rücksichtsvoller und solidarischer hervorgehen, was mit Blick auf die existenziellen Herausforderungen in Gestalt von Klimawandel, Artensterben, der Befriedung von Kriegsgebieten und eines sozialen Ausgleichs in globaler Dimension durchaus hoffnungsvoll stimmen könnte.
 
Lassen Sie uns mithin die Krise als Chance sehen und fruchtbar machen.
 
 
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Edwin Ernst Weber