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Antje Sabine Naegeli: Lass ihn ein, den neuen Tag – 021


Für die Menschen früherer Jahrhunderte war das Wissen um die unsichere eigene Existenz angesichts einer extrem hohen Säuglings- und Kindersterblichkeit, einem weitgehenden Ausgeliefertsein gegenüber Krankheiten, Seuchen, Missernten, Hungersnöten und Kriegen selbstverständlich. Die persönlichen wie kollektiven Antworten auf die Unsicherheit des Daseins liegen in der Vergangenheit wie heute in der tatkräftigen Solidarität und gegenseitigen Unterstützung, im Leben nur für heute und dem Verzicht auf die Sorgen über morgen und dem hoffnungsvollen und getrosten Vertrauen in die Kraft des Lebens und vielleicht auch einen gerade in Schmerz und Not gegenwärtigen und bergenden Gott. Die Schweizer Theologin und Therapeutin Antje Sabine Naegeli hat zu diesem Spannungsverhältnis von Mühsal und Unvollkommenheit des Lebens und dem vertrauenden Hoffen und Glauben wunderbare Worte gefunden:
 
Lass ihn ein, den neuen Tag,
den mühsalschweren
mit seinem grauen Gewand.
Bote ist er, Anruf,
heute das Leben zu wagen.
 
Nicht der Tag
macht dich arm,
der dir Last aufbürdet,
dem Schmerz dich ausliefert.
Arm bist du nur,
wo du dich weigerst
zu lieben,
wo du dich wehrst,
das Unvollkommene
zu umarmen,
den Kreuzweg mitzugehen.
 
Fürchte nichts!
Unerschöpflich
sind die Quellen dessen,
der sich dir zugesagt
für jeden neuen Tag.
 
(aus: Sabine Naegeli: Die Nacht ist voller Sterne. Gebete in dunklen Stunden. 5. Auflage, Freiburg i. Br. 1990)
 

Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Edwin Ernst Weber