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Der Passionsaltar von Wilhelm Geyer – 020


In ihrer Kunst spiegelt und bricht sich die Passion der Zeit nach den Schrecken und Verheerungen des Ersten Weltkriegs und den Erschütterungen von Revolution, Inflation, sozialer Not und politischer Unsicherheit. Bei Wilhelm Geyer sodann, der nach dem Kriegsdienst 1918 die Stuttgarter Kunstakademie bis 1923 besucht hatte, bildet der Passionsalter den Auftakt zu einer ganzen Reihe von Flügelaltären, auf denen er bis Anfang der 1930er Jahre bildnerisch expressiv unterschiedliche biblische Themen des Alten wie des Neuen Testaments umsetzt und die am Beginn seines Weges zu einem der sicher produktivsten und bedeutendsten religiösen Maler des 20. Jahrhunderts stehen.
 
Man muss sich auf das dreiteilige Bild mit seiner erdigen Dunkelheit und einer wilden, expressiven und partiell bis an die Grenze der Abstraktion getriebenen Pinselführung näher einlassen, um die erschütternde Wucht der Darstellung der von Menschen zugefügten Qualen und der schrecklichen Leiden Jesu zu erfassen. Auf dem linken Seitenbild ist die Geißelung des in seiner Pein und Erniedrigung zur Gesichtslosigkeit entmenschlichten Christus durch einen peitschenschwingenden Peiniger zu erkennen, rechts die Dornenkrönung des gefesselten und in ein rotes Spottgewand gehüllten Gottessohnes. Das Mittelbild vereint mit der Handwaschung des Pilatus, der Kreuztragung und der eigentlichen Kreuzigung vor dem Hintergrund einer sich verfinsternden roten Sonne im Zentrum gleich drei Szenen der Passionsgeschichte. Es ist eine ekstatische, aus dem eigenen, inneren Erleben und Erleiden des Künstlers rührende Darstellung und letztlich das bildnerisch-persönliche Glaubenszeugnis eines Malers, der im Evangelium und der biblischen Heilsbotschaft Antworten aus den Abgründen und Bedrängnissen seiner Zeit für sich und die Welt findet und zugleich für die Betrachter seiner Kunst auch weist.

Abbildung Wilhelm Geyer: Passion Jesu Christi – Geißelung, Kreuzigung, Dornenkrönung, dreiteiliges Bildwerk, Öl auf Leinwand 1924, Seitentafeln 160 x 80 cm, Mitteltafel 160 x 160 cm, Vorlage: Nachlass Wilhelm Geyer, Ulm
 
Abbildung Wilhelm Geyer: Passion Jesu Christi – Geißelung, Kreuzigung, Dornenkrönung, dreiteiliges Bildwerk, Öl auf Leinwand 1924, Seitentafeln 160 x 80 cm, Mitteltafel 160 x 160 cm, Vorlage: Nachlass Wilhelm Geyer, Ulm
 
Auf meinen Vorschlag und mit Unterstützung der Nachfahren von Wilhelm Geyer in Ulm steht sein Passionsaltar in diesem Jahr im Zentrum von „Kunst am Karfreitag“, die Diakon Werner Knubben mit Werken der modernen und zeitgenössischen Bildlichen Kunst seit mehr als 20 Jahren in der Pfarrkirche St. Fidelis in Sigmaringen anbietet. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie findet die Karfreitagsliturgie mit der Kunstbetrachtung dieses Jahr ohne Gottesdienstbesucher in der Stadtkirche St. Johann statt und kann am

Freitag um 15 Uhr digital über livestream verfolgt werden.
 
Für eine vertiefende Beschäftigung mit Wilhelm Geyer und seinem vor allem religiösen Werk möchte ich Ihnen folgende Literatur empfehlen:
 
Michael Kessler, Brigitte Reinhardt, Wolfgang Urban (Hgg.): Wilhelm Geyer zum 100. Geburtstag. Ulm 2000.
In Ekstase. Wilhelm Geyer und sein malerisches Werk. Hg. von der Stadt Böblingen und der Städtischen Galerie Böblingen. Böblingen 2018.

Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Edwin Ernst Weber