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Der „Schwarze Tod“ 1348/49 in Oberschwaben – 045


Im Bodenseeraum und in Oberschwaben, wohin die Seuche von Italien über den St. Gotthardpass und von Südfrankreich über das Rhonetal und die Schweiz gelangte, gibt es die ersten Nachweise Ende 1349 in Konstanz und Lindau, von wo aus sich die Epidemie über die Handelswege nach Leutkirch und Memmingen sowie nach Isny und Kempten ausbreitete. Im Allgäu finden sich Pfarreien, wo anschließend ein Drittel der Häuser leer standen, neben solchen mit nahezu keinen Verlusten.
 
Auch in unserem Raum geht der „Schwarze Tod“ einher mit der Vorstellung von der Seuche als Strafe Gottes für die menschliche Sündhaftigkeit sowie der Suche nach Sündenböcken, die allenthalben in den kleinen jüdischen Gemeinden in den Städten ausgemacht und in schrecklichen Pogromen weitgehend vernichtet werden. In Konstanz reichen dabei Monate vor dem Einzug der Suche das bloße Gerücht von dem drohenden Unheil und die nackte Angst der Menschen vor Krankheit und Tod aus, um die Juden der Brunnenvergiftung zu bezichtigen und die jüdische Gemeinde mit rund 70 Familien und 350 Personen in zwei blutigen Verfolgungen am 3. März und 10. September 1349 mit Feuer auszulöschen. Vergleichbare Pogrome finden 1349 auch in anderen Städten Oberschwabens statt. Zwischen den beiden Pogromen treten in Konstanz im Juni und Juli 1349 die sog. Geißler auf, die in öffentlichen Bußzügen Gott um die Errettung vor der heraufziehenden Katastrophe anflehen.
 
Wie erbarmungslos der „Schwarze Tod“ seit 1348 die europäischen Gesellschaften heimsuchte und hier vielfach die sozialen und sogar familiären Bindungen auflöste, schildert beklemmend realistisch und detailreich für das vom März bis Juli 1348 von der Seuche erfasste Florenz Giovanni di Boccaccio in der Einleitung seines „Decamerone“, einem frühen Werk der Weltliteratur. Die Erkrankten werden aus Angst vor Ansteckung und um das eigene Leben vielfach von ihren Nachbarn, Freunden und sogar den nächsten Verwandten verlassen und sterben nicht selten qualvoll, allein und verlassen. Von in den Häusern verwesenden Leichen ist ebenso die Rede wie von Massengräbern, in denen die Toten regelrecht verscharrt werden. Viele stolze Paläste und prächtige Häuser seien nach dem Abklingen der Seuche leer gestanden, viele alteingesessene Geschlechter ausgestorben. Boccaccio deutet allerdings auch an, dass die Wohlhabenden – im Unterschied zu den Armen – die Chance zur Flucht aus der verseuchten Stadt nutzen.
 
Rund drei Dutzend Pestzüge kann die Forschung allein für den Bodenseeraum und Oberschwaben zwischen 1348/49 und dem Dreißigjährigen Krieg belegen. Die Seuche tritt zyklisch auf und folgt grob einem etwa zehnjährigen Rhythmus. Eine hohe Sterblichkeit bis zu einem Drittel und der Hälfte der Bevölkerung findet sich jeweils in jenen Orten, wo der letzte Pestausbruch mehr als ein Jahrzehnt zurücklag, während Städte und Dörfer mit einem jüngeren Seuchengeschehen aufgrund der sechs bis zwölf Jahre anhaltenden Immunisierung weitgehend geschützt waren. Wie Erhebungen in St. Gallen zeigen konnten, ist das Risiko, an der Pest zu versterben, für arme Leute sehr viel höher als für Wohlhabende, denen es leichter möglich war, den Wohnort bei Ausbruch der Seuche zu verlassen.
 
Auffallend ist, dass die vom 14. bis ins 17. Jahrhundert schwer von der Pest heimgesuchten Gemeinden ihre Bevölkerungsverluste jeweils rasch wieder ausgleichen können. Auf die Katastrophe folgt allenthalben ein starker Anstieg der Eheschließungen, ein zeitweiliges Aufweichen der sozialen Eheschranken, ein deutlicher Anstieg der Geburtenrate und vielfach auch ein Zuzug von außerhalb. Eingebettet sind die drei Pest-Jahrhunderte in Europa in ein umfassendes „Krisen- und Katastrophenpanorama“ mit Wetterextremen, seit dem 16. Jahrhundert einer Klimaverschlechterung mit der beginnenden „Kleinen Eiszeit“, Ernteausfällen, Teuerungen, Hungersnöten, Bränden und Kriegen. Für das 16. und 17. Jahrhundert lassen die archivalischen Quellen einen evidenten Zusammenhang erkennen zwischen Pestepidemien und vorausgegangenen Wetterextremen mit Hochwasser, Stürmen, nassen und kalten Sommern oder auch feuchten und milden Wintern, die wiederum eine Zunahme der Rattenflöhe als Überträgern der Pest begünstigten.
 
Den aktuellen Forschungsstand zum Thema finden Sie komprimiert und lesbar dargestellt bei Wolfgang Scheffknecht: Klima, Pest und Bevölkerungsentwicklung im Bodenseeraum vom 14. bis frühen 17. Jahrhundert. In: Sigrid Hirbodian, Rolf Kießling und Edwin Ernst Weber (Hgg.): Herrschaft, Markt und Umwelt. Wirtschaft in Oberschwaben 1300-1600. Stuttgart 2019, S. 53-76. Der Band ist für 29 Euro im Buchhandel oder bei der Geschäftsstelle der Gesellschaft Oberschwaben für Geschichte und Kultur unter Email: kultur(at)LRASIG.de oder Telefon 07571/102-1141 erhältlich.

Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Edwin Ernst Weber