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Mullah Nasrudin und der verkehrte Esel – 038


Der ebenso närrische wie weise Mullah verbindet philosophische Einsichten mit einfachem Alltagshumor und scheut bei seinem Reden und Handeln auch nicht vor handfesten Blamagen zurück. Die Geschichten des weisen Narren oder närrischen Heiligen lassen sich bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen. Den Ruhm als historische Wirkungsorte von Mullah Nasrudin beanspruchen besonders die ehemalige Provinz Chorasan in Persien und Afghanistan und das türkische Südwestanatolien, wo es in der Stadt Akşehir sogar ein Mausoleum mit seinem Namen gibt.
 
Eine der vielen Geschichten um Mullah Nasrudin handelt von seiner Suche nach einem Esel für eine geplante weite Reise. Er ließ sich von einem Händler ein Tier vorführen. Um es auszuprobieren schwang sich der Mullah in den Sattel – aber verkehrt herum, so dass er mit dem Gesicht zum Eselschwanz saß. Der Händler sagte: „Sie sitzen falsch“. Mullah Nasrudin erwiderte darauf grimmig: „Bitte keine billigen Ausflüchte! Ich verstehe sehr wohl, Leute zu beurteilen, die einem einen Esel andrehen wollen, wo der Schwanz vorne und der Kopf hinten ist“.
 
Eine Variante erzählt die Geschichte mit einem Pferd statt des Esels. Nachdem ich aber vor einigen Jahren bei einem Besuch in Istanbul das im beigefügten Foto zu sehende kleine Figürchen mit dem verkehrt auf einem Esel sitzenden Mullah Nasrudin erwerben konnte und ich überdies ein großer Eselliebhaber bin, gefällt mir die Version mit dem Grautier besser. Das Figürchen steht im Übrigen neben meinem heimischen Schreibtisch und soll mich in Momenten der Aufgeregtheit und des Zorns über Menschen oder Situationen daran erinnern, innezuhalten und zu überprüfen, ob tatsächlich der oder die anderen oder nicht vielleicht doch ich selbst verkehrt herum sitze oder stehe.

Mullah Nasrudin verkehrt herum auf seinem Esel
Foto: Mullah Nasrudin verkehrt herum auf seinem Esel
 
Der närrisch-weise Mullah und sein Esel können darüber hinaus vielleicht auch uns alle in der augenblicklichen Krise zum Innehalten und Nachdenken veranlassen, ob unser bisheriger Weg des Schneller, Höher und Weiter wirklich der richtige war oder möglicherweise doch in die verkehrte Richtung geführt hat – und es mithin Zeit und Anlass wäre, die Position und die Blickrichtung grundlegend zu ändern.
 
 
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Edwin Ernst Weber